Internationales Klassifikationssystem
Der ICD-10 ist ein internationales Klassifikationssystem, um Krankheiten zu definieren sowie voneinander abzugrenzen und kann beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte angesehen werden. Seit dem 01.01.2022 ist zwar der ICD-11 in Kraft getreten, wird aber offiziell noch nicht in Deutschland umgesetzt. Aktuell wird mit der Version ICD-10-GM Version 2022 (GM steht für German modification) gearbeitet, weil die aktuelle Version erst noch übersetzt, modifiziert (erneuert) und in die bestehenden Strukturen integriert werden muss.
In dem 1990er gültigen ICD-10, der zur Pathologisierung (physische, psychische und soziale Erscheinungen und Vorgänge als krankhaft zu bezeichnen) und Diskriminierung von trans* Personen beigetragen hat, ist „Transsexualismus“ als „Wunsch, als Angehörige*r des anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden“, definiert.
Mit der ICD-11 wir die „Störung der Geschlechtsidentität“ (F64.0 – Transsexualismus) nicht mehr in den Abschnitt „mentale und Verhaltensstörungen“ eingeordnet. Stattdessen wird ein neuer Abschnitt als „mit der sexuellen Gesundheit zusammenhängende Umstände“ die Kategorie „gender incongruence“ aufgeführt. Die so genannte Geschlechtsinkongruenz wird als ausgeprägte und beständige Nichtübereinstimmung zwischen dem erlebten und dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht definiert. Die Entpsychopathologisierung ist somit ein wichtiger Schritt zur Wertschätzung, Gleichberechtigung und damit auch psychischen Gesundheit von trans* Personen.
Des Weiteren bedarf es bestimmter Voraussetzungen, um Operationen bei Geschlechtsdysphorie durchführen zu können. Die Voraussetzungen ergeben sich aus der S3-Leitlinie für Geschlechtsdysphorie bzw. der Richtlinie des MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V.) zur Sicherung einer einheitlichen Begutachtung. Ein*e mit der Thematik erfahrener Psychiater*in bzw. Psychologische*r Psychotherapeut*in muss die Indikation zur Durchführung einer körpermodifizierenden Operation (das sogenannte Indikationsschreiben) gestellt haben. Ferner wird eine Erklärung der Kostenübernahme für die geplante operative Behandlung von der jeweiligen Krankenkasse benötigt. Die Kostenübernahmeerklärung für die operativen Eingriffe kommt nach Einreichen des Indikationsschreibens und des Schreibens des*der Chirurg*in von der Krankenkasse.
Das Genehmigungsverfahren
Die Kriterien beziehen sich alle auf den noch existierenden ICD-10 GM 2020.
Zu (den von den Krankenkassen bezahlten) geschlechtsangleichenden Maßnahmen zählen:
- Hormonbehandlung
- Epilationsbehandlung (Gesicht/Hände/ggf. Dekolleté)
- Mastektomie
- Brustvergrößerung (wird nur dann durch die Krankenkassen bezahlt, wenn sich nach zwei Jahren trotz entsprechender Hormonbehandlung kein ausreichendes Brustwachstum von Körbchengröße A entwickelt hat)
- genitalangleichende OPs
- Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie
Alle weiteren Maßnahmen müssen gesondert beantragt und begründet werden. Häufig müssen andere, als die aufgelisteten Maßnahmen selbst finanziert werden.
Angleichungen des Genitalbereichs bei trans* weiblichen Personen betreffen die
- Hodenentfernung
- „partielle“ Penisentfernung
- Formung einer Neo-Vagina und Schaffung einer Neo-Klitoris sowie das Anlegen der äußeren („Scham“-)Lippen
- Neuanlage der Harnröhrenmündung
Angleichungen des Genitalbereichs bei trans* männlichen Personen betreffen die
- Gebärmutterentfernung
- Eileiter- und Eierstockentfernung
- Entfernung der Vulva und Vagina
- Schaffung eines Klitorispenoids (Metaidoioplastik) oder operativer Penoidaufbau mit Erektionspumpen-Prothese und Hodenersatzimplantaten
Du benötigst für geschlechtsangleichende OPs die Diagnosestellung gemäß des noch existierenden ICD-10 GM 2020, diese muss monentan noch F64.0 Transsexualismus lautet. Danach muss hervorgehen, dass ein krankheitswerter Leidensdruck vorliegt und der Leidensdruck weder durch psychiatrische noch durch psychotherapeutische Maßnahmen ausreichend gelindert werden konnte. Hier wäre eine Beschreibung der Beeinträchtigung der verschiedenen Lebensbereiche wichtig. Um einschätzen zu können, ob der krankheitswerte Leidensdruck durch psychiatrische und psychotherapeutische Mittel ausreichend gelindert werden konnte, sollte ein Zeitraum von sechs Monaten nicht unterschritten werden. Weiter muss hervorgehen, dass die Transidentität schon seit mindestens zwei Jahren durchgehend bestanden haben muss und kein Symptom einer anderen psychischen Störung aufgetreten ist. Auch muss ein Zusammenhang mit Intergeschlechtlichkeit, genetischen oder geschlechtschromosomalen Anomalien (Abweichung von der Norm, vom ‚Normalen‘) ausgeschlossen sein.
Des Weiteren sind eine umfassende Diagnostik und verschiedene Untersuchungen notwendig, um eine körperliche Erkrankung als Mitverursachung der psychischen Beschwerden auszuschließen. Eine sorgfältige
- Anamneseerhebung der psychosexuellen Entwicklung,
- eine Sozialanamnese,
- eine biographische und medizinische Anamnese
- müssen erstellt werden.
Hier wird auch die Erstellung eines psychischen Befundes gemacht. Dann sind fachärztlich psychiatrische oder psychosomatische Untersuchungen notwendig. Weiter kommen je nach Angleichung urologische, gynäkologische, andrologisch und/oder endokrinologische Befunde hinzu und ggf. eine Ausschlussdiagnostik aufgrund genetischer oder geschlechtschromosonaler Anomalien.
Personen, die geschlechtsangleichende Maßnahmen vornehmen lassen möchten, müssen sich in regelmäßige psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung begeben. Über welchen Zeitraum und in welcher Häufigkeit dies stattfindet, liegt im Ermessen und in der Verantwortung des*der Behandelnden. Dies muss aber im Behandlungsbericht entsprechend begründet sein. Auch muss aus den Verlaufs- und Befundbericht hervorgehen, ob Begleiterkrankungen vorliegen und wenn diese vorhanden sein sollten, dann müssen sie auch benannt werden. Zudem muss erwähnt werden, mit welchen Maßnahmen und mit welchem Therapieergebnis diese Begleiterkrankung(en) behandelt worden ist/sind.
Für die psychotherapeutische Begleitung der Alltagserfahrung ist ein Zeitraum von mindestens 12 Monate anzusetzen, um das Risiko des „Bedauerns“ bzw. einer Detransition zu minimieren. Abweichungen müssen begründet werden. Für die sozialmedizinische Begutachtung muss aus dem Befundbericht das Erreichen der individuell festgelegten Ziele der psychotherapeutisch begleitenden Alltagserfahrungen hervorgehen. Weitere geschlechtsangleichende Maßnahmen wie Epilation, Hormonbehandlung können nach Abschluss der Diagnostik- und Behandlungsphase schon zu einem früheren Zeitpunkt der Alltagserfahrung erforderlich sein. Dies muss aber auch begründet werden.
Da es sich bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen häufig um operative, meist mit irreversiblen (unumkehrbar) Eingriffen am biologisch gesunden Körper handelt, sind für die psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung des krankheitswertigen Leidensdruck mindestens 12 Sitzungen à 50 Minuten vorgesehen.
Die Indikationsstellung für eine geschlechtsangleichende Maßnahme erfolgt in zwei Schritten:
- die psychiatrische/psychotherapeutische Indikationsstellung und die
- ärztlich-somatische Indikationsstellung durch (Fach-)Arzt*innen
Der psychiatrischen/psychotherapeutischen Indikationsstellung kommt aufgrund der Komplexität und der sozialmedizinischen Besonderheit eine herausragende Bedeutung zu und beinhaltet:
- die Behandlung zugrundeliegender Diagnosen
- eine Aussage zu den ggf. vorliegenden psychischen Begleiterkrankungen
- eine jeweils empfohlene Behandlung
- die Informiertheit der*des Behandlungssuchenden über Diagnose und alternative Behandlungsoptionen
Dann sollte aus dem Indikationsschreiben noch hervorgehen, dass die empfohlene Maßnahme geeignet ist, den krankheitswertigen Leidensdruck zu lindern oder gar zu heilen, da die psychiatrischen/psychotherapeutischen Maßnahmen hierzu nicht ausreichen.
Weiter sollten folgende Informationen erwähnt werden:
- eine ausreichende psychische Stabilität
- die Fähigkeit der*des zu Behandelnden die Möglichkeiten und Grenzen der geplanten Maßnahme(n) realistisch einschätzen zu können
- die Zweckmäßigkeit der geplanten Maßnahme(n)
- eine geplante transitionsbegleitende Nachsorge
Ergänzend zu dem psychiatrisch/psychotherapeutischen sowie der ärztlich-somatischen Indikationsstellungsbericht kommt der Nachweis der erfolgten Aufklärung des*der Behandler*in (OPs, Hormone, etc.).
Zusammengefasst benötigen Sie folgende Unterlagen zur sozialmedizinischen Begutachtung:
- einen ausführlichen psychiatrischen/psychotherapeutischen Befund- und Verlaufsbericht mit Angaben zu
- Anamnese
- Diagnose und differentialdiagnostischen Überlegungen
- ggf. begleitende psychische Störungen
- krankheitswertigen Leidensdruck
- ggf. Behandlung von Begleiterkrankungen
- Begleitung der Alltagserfahrungen
- Befundbericht zu körperlichen Untersuchungsergebnissen
- psychiatrisch/psychotherapeutische Indikationsstellung zur medizinischen Notwendigkeit der beantragten geschlechtsangleichenden Maßnahme(n)
- körperlich-ärztliche Indikationsstellung für die beantragte geschlechtsangleichende Maßnahme(n) durch den*die durchführende Chirurg*in inkl. Nachweis über die Aufklärung
- Leistungsauszug der Krankenkasse der letzten fünf Jahre
Erfolgt die Diagnosestellung durch eine*n psychologische*n Psychotherapeut*in kann für die sozialmedizinische Begutachtung ein ergänzender psychiatrischer Konsiliarbericht erforderlich sein.
Hilfreich, aber nicht notwendig ist:
- ein biographischer Bericht zum transidenten Werdegang
- den bisherigen Behandlungsmaßnahmen
- der bisherigen Alltagserfahrungen
- sowie zur aktuellen Lebenssituation
- falls bereits vorhanden, Gerichtsgutachten zur Vornamens-/Personenstandsänderung nach dem Transsexuellengesetz
